Heute das Chanson des Monats März – von Thomas Pigor – SWR2
Europa
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Europa
Wir stachen in See vor mehr als sechzig Jahrn
Anfangs warn wir nur sechs in unserem Kahn
Im Laderaum hatten wir Kohle und Stahl
Und einen Sack voller Träume als Startkapital
Langsam wurden wir mehr, es ging auf und davon
Über Rom, Maastricht und Lissabon
Nein, die meiste Zeit fuhrn wir mit halber Kraft
Lissabon, weiter haben wirs nicht geschafft
Und das Schiff heisst Europa, das Meer ist die Zeit
Wir steuern durch die Wellen der Unwägbarkeit
Und der Wind bläst von vorn
Uns umnebelt die Gischt
Während ein Brecher nach dem anderen auf die Planken drischt
Der Laderaum ist jetzt zum Bersten voll
Mit Immobilien, Autos und Alkohol
In der ersten Klasse steht ein Riesenbuffet
Wo Typen, die aussehn wie Gérard Dépardieu
Die Reste verteilen, doch achten sie scharf
Darauf wer und wer nicht davon essen darf
Damit nicht alles aufs Oberdeck drängt
Überlegen sie, wie man am Besten die Treppen verengt
Und das Schiff heisst Europa und es fährt durch die Zeit
An Bord sind Kraftmeierei und Kurzsichtigkeit
Und uns´re ewigen Macchiavelli – Adepten
Die starken Männer mit den alten Patentrezepten
Erklären schon bei der kleinsten Gefahr:
„Genug jetzt, ich mache mein Rettungboot klar!“
Dabei zeigt sich schon lange am Horizont
Mehr als eine Schlechtwetterfront
Statt in den Maschinenraum renn´n die Idioten
Zu den vermeintlich sicheren Rettungsbooten
Und Schiffbrüchige treiben wortwörtlich im Meer
Von der Reling aus droht man ihnen mit dem Gewehr
Manche schaffens an Bord, doch von der tapferen Crew
Schließt einer nach dem andern seine Kabine zu
Und auf der Brücke stehn 28 souveräne
Demokratisch gewählte Kapitäne
Und stelln sich bis nachts um Fünf Ultimaten
Und streiten sich um die Zielkoordinaten
Wo steuert es hin unser schönes Projekt
Die Kompromissmaschine ist defekt
Und das Schiff heisst Europa und es fährt durch die Zeit
Unsre Stärke wär eigentlich unsre Konsensfähigkeit
Der Interessensausgleich, Demokratie
Theoretisch. Vielleicht sogar sowas wie Empathie
Anstatt dass jetzt die Intellektuellen
Europas über die Bordsprechanlage die Frage stellen
„Wie organisiern wir jetzt unsre Seetüchtigkeit?“
Signalisiern sie vor allem Müdigkeit
Und von den Nachbarschiffen, von hinten von vorn
Tutet es SOS mit dem Nebelhorn
Alles so schrecklich, blutrünstig und obszön
Dass dem Songschreiber glatt die Metaphern ausgehn …
Musik und Text: Thomas Pigor
Schönes Wochenende!
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