Aug 242013
 

Am 13. September ist eine Lesung im Weingut Forster in Rümmelsheim. Ich werde zum ersten Mal daran teilnehmen, meine Autorenkollegen von der Eulenfeder lasen dort schon zwei Mal.
Eine der Geschichten, die ich dort unter dem Thema „Leibspeisen und andere Genüsse“ vorlesen werde, möchte ich euch heute vorstellen.

Koljas Riesling

Ich öffne den Riesling und gieße einen Schluck ins Glas, hebe es an die Nase und genieße den wundervollen Geruch. Meine Lippen schließen sich um den Glasrand und ich trinke. Meine Zunge bewegt den Wein in meinem Mund hin und her, alle Geschmacksnerven tanzen. Es ist unglaublich diesen Wein zu schmecken, ihn zu fühlen, mit jeder Faser meines Ichs.
Ich gieße mein Glas voll und gehe auf den Balkon. Im Schein der untergehenden Sonne hebe ich das Weinglas und sehe zu, wie sich die Strahlen im hellgoldenen Getränk brechen.
In diesem Moment begebe ich mich auf eine Zeitreise.

Zehn Jahre ist es her, seit wir nach Rheinland-Pfalz zogen. Ljuba und ich kommen aus Sibirien. Meine Frau hat Pädagogik studiert und ich bin Straßenbauer. Eigentlich bin ich Ingenieur für Straßenwesen. Aber beide Berufe werden in Deutschland nicht anerkannt.
Wir haben eine kleine Wohnung und keine Arbeit. Irgendwann bekommt Ljuba eine Putzstelle. Ich fühle mich nutzlos.
Wir mögen diese Gegend hier, wir wohnen in einer kleinen Kreisstadt und ich bin immer wieder vom milden Klima überrascht. Im Winter könnte ich mit einem Sweatshirt herumlaufen, so warm ist es hier. Das tue ich natürlich nicht. Aber meine Jacke lasse ich, trotz der komischen Blicke, offen.
Manchmal bin ich traurig, weil Ljuba das Geld bei uns verdient. Ich tigere in unserer Wohnung herum und irgendwann gehe ich kaum noch nach draußen und igele mich ein. Da bleiben Konflikte nicht aus. Natürlich liebe ich meine Ljuba, aber so habe ich mir das damals bei der Hochzeit nicht vorgestellt. Der Mann hat das Geld zu verdienen, nicht die Frau!


Eines Abends kommt Ljuba nach Hause und erzählt, dass ein Winzer, in dessen Haus sie putzt, kräftige Kerle suche. Eigentlich suche er nur Deutsche, schon wegen der Sprache und so, aber ich bin gleich begeistert. Das wäre eine Möglichkeit endlich etwas tun zu können. Und deutsch spreche ich seit meiner Kindheit.
Die Großeltern waren Aussiedler und deutsch wurde genauso selbstverständlich wie russisch gesprochen.

Ich gehe also hin und stelle mich vor. Der Winzer ist erst etwas skeptisch, aber ich bin groß und habe beeindruckende Muskeln. Das hilft.
Endlich kann ich arbeiten gehen. Am ersten Arbeitstag stehe ich sehr früh auf, denn ich will auf keinen Fall zu spät kommen. Schon eine Viertelstunde vor Arbeitsbeginn bin ich auf dem Winzerhof. Wir fahren alle zusammen in den Weinberg und ich werde bei den Trägern eingeteilt. Einen Lögel schnalle ich mir auf den Rücken und laufe stets den Wingert auf und ab. Ich gehe zu den Schneidern, die die Trauben ernten. Diese schütten ihre Körbe in den Lögel und ich laufe damit, wenn er voll ist, zum Hänger. Dort leere ich ihn aus und gehe anschließend wieder zu den Schneidern.

Am Abend weiß ich nicht, wie viel ich gelaufen bin. Ich bin nur kaputt und müde, aber sehr aufgekratzt und fröhlich. In der nachfolgenden Nacht schlafe ich wie ein Stein. Nicht ein Mal bin ich aufgewacht.

Am Morgen, als der Wecker klingelt, springe ich aus dem Bett und bin schon wieder vor der Zeit auf dem Winzerhof. Ja, diese Arbeit gefällt mir!
Endlich habe ich wieder etwas zu tun und sitze nicht nur herum. Mit meiner Frau verstehe ich mich auch wieder besser. Dem Winzer fällt irgendwann auf, dass ich gute Arbeit leiste. Er beginnt sich mit mir zu unterhalten und bald schon sind wir befreundet.

Als die Weinernte vorbei ist, darf ich bleiben. Ich übernehme kleinere Arbeiten auf dem Hof und lerne nach und nach den Umgang mit den Trauben und dem Wingert.
Langsam übernehme ich immer mehr Verantwortung.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass auf dem diesjährigen Riesling – Koljas Riesling – steht.
Es ist der erste Wein, bei dem ich von der Lese, über die Kelterung bis zur Abfüllung die ganze Verantwortung trug. Ich finde, das schmeckt man!

Ich führe mein Glas zum Mund und trinke genüsslich einen Schluck. Beim Gedanken, dass ich inzwischen meine Jacke im Winter schließen muss, lächle ich.
Ja, ich bin angekommen. In meinem Leben und in Rheinland Pfalz.

Liebe Grüße

cat
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  2 Antworten zu “Koljas Riesling”

  1. Liebe cat,

    eine ganz geschmackvolle, zauberhafte Geschichte. Ein Lesevergnügen!!

    Herzlichst
    Manuela

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